Der Nutzen dieser drei Mechanismen
Dass diese drei Mechanismen im Bereich der Vermögensanlagen schon früher grosse Wirkung entfaltet haben, zeigt sich bei einem Blick auf Aktien und deren Handel. Es ist nicht lange her, da hatten die Banken und Broker das Geschäft voll und ganz in ihren Händen. Die Beratung im Zusammenhang mit Aktien erfolgte analog, per Telefon oder vor Ort im Büro des Beraters. Kauf oder Verkauf erfolgten ebenso analog an einer Börse, an der sich Händler mittels Handzeichen und Rufen auf einen Preis einigten. Alles sehr langsam und für den Privatkunden sehr, sehr teuer. Das Internet und die damit verbundene Einführung des elektronischen Börsenhandels hat enorme Veränderungen mit sich gebracht. Heute ist, so das seinem Interesse entspricht, jeder Anleger in der Lage, im Internet zu einer Aktie zu recherchieren, dann auf der Web-Site seines Onlinebrokers mittels eines Mausklicks solche zu kaufen und zu verkaufen. In Sekundenschnelle, für grosse oder kleinere Beträge und möglicherweise an einem Börsenplatz, der sich in einer anderen Zeitzone ein paar tausend Kilometer entfernt befindet. Dass die Wertschriften dann ebenfalls in Sekunden ins eigene Depot ein- oder ausgebucht werden, versteht sich in dieser Welt fast von selbst. Und, ganz wichtig, das Ganze geschieht zu einem sehr kleinen Bruchteil der Kosten, die für eine solche Transaktion noch vor zwei-, drei Jahrzehnten angefallen sind.
Mit der neuen, auf Blockchain-Technologie basierenden, digitalen Tokenisierung und Fraktionalisierung wird nun möglich, was uns für Aktien heute als Selbstverständlichkeit gilt: eine Vielzahl von Investitionsgütern stehen neu auch «Normalsterblichen» mit kleineren und mittleren Vermögen zur Anlage offen. Denn mit dieser Art der Verbriefung von Werten können Hürden für Investoren, an Finanz- und Anlagemärkten teilzunehmen, massiv gesenkt werden. So können auch kleinere Vermögen in Anlagen investieren, für die das zur Verfügung stehende Kapital vormals nicht ausreichend gewesen ist. Dadurch lässt sich einerseits die Vermögens-Diversifikation verbessern, was zu einer Verminderung der Anlagerisiken führt. Anderseits eröffnen sich so Renditechancen, die bis anhin eben nur den ganz grossen Vermögen offen gestanden sind.
Beispielsweise haben in den vergangenen Jahren Anlageklassen wie «private Equity», Immobilien, Kunst oder exotische Fahrzeuge eindrückliche Renditen aufweisen können, was sie zu vielversprechenden Alternativen zu traditionellen Anlageklassen wie den börsenkotierten Aktien und Obligationen machte.
Anwendungsbeispiele
Teilhabe an nicht traditionellen Anlagen zur Diversifikation
Ausgangspunkt der Überlegung ist unter anderem die Frage, wieso die grossen, alten Vermögen teilweise über Jahrhunderte Bestand haben bzw. eine starke Tendenz zeigen, zu wachsen. Ein wichtiger Faktor hierbei dürfte die Tatsache sein, dass die grossen Vermögen sehr viel stärker diversifiziert sind, als dies bei «Normalsterblichen» üblich und möglich ist. Und genau hier kann die Blockchain-Technologie im Zusammenhang mit der Tokenisierung Abhilfe schaffen. In Tokens abgebildete Vermögenswerte lassen sich beliebig stückeln und über die Blockchain einfach übertragen. Damit werden vormals illiquide Werte handelbar und eröffnen so Anlegern den Zugang zu neuen Investitionsmöglichkeiten.
Auch wenn dies vordergründig vielleicht etwas exotisch klingt; es wäre möglich, z.B. 0.01% eines sehr teuren Gemäldes über eine Blockchain zu erwerben. In einer Welt, in der Geld nach Belieben gedruckt wird, können Sachwerte aller Art einen Schutz vor möglicher Inflation bieten. Dies dürfte auch ein wichtiger Treiber für die Wertsteigerungen von Kunstwerken sein. Bei Preisen für einzelne Schöpfungen im Bereich dutzender Millionen ist es uns im Allgemeinen aber nicht möglich, in diese Anlageklasse zu investieren. Das bleibt heute den hochvermögenden Personen vorbehalten, die nicht zuletzt wegen ihrer Möglichkeiten zu diversifizieren, gerne immer noch etwas vermögender werden. Mit der Blockchain wäre es beim erwähnten Anteil von 0.01%, möglich, mit 3'500 Franken einen Anteil an einem Werk von Picasso im heutigen Wert von z.B. 35 Millionen Franken sichern. Stellt man bei diesen Überlegungen auf die Marktanalyse des Kunsthandel-Dienstleisters Artprice ab, dann haben die Werke der hundert wichtigsten Künstler seit dem Jahr 2000 durchschnittlich pro Jahr um 8.9% an Wert zugelegt. Nur eben kann sich kaum jemand ein Werke von Pablo Picasso, Andy Warhol oder Gerhard Richter leisten, die im Artprice-100-Index enthalten sind. Der sehr breite Artprice-Global-Index, der derzeit die im Durchschnitt wesentlich preisgünstigeren Werke von fast 700 000 Künstlern umfasst, zeigte anderseits über die vergangenen zwanzig Jahre einen annualisierten Zuwachs von lediglich gut 1%.
Gleiches gilt z.B. für den Bereich exotischer Oldtimer-Fahrzeuge, bei denen für wenige, rare Modelle ebenfalls Preise in den dutzenden von Millionen bezahlt werden. Auch diese Wertsteigerungen dürften bis heute in wenigen, bereits sehr grossen Vermögen angefallen sein. Ebenfalls in verhältnismässig wenigen Vermögen befindet sich das Eigentum an landwirtschaftlichen Nutzflächen und an Unternehmen, die – noch – nicht die Grösse für eine Börsenkotierung erreicht haben (private Equity).
Diversifikation von Klumpenrisiken in privaten Vermögen
Viele KMU, zum Teil reine Familienunternehmen, werden heute als Aktiengesellschaft geführt. Oft ist das ganze Familienvermögen in einem solchen Betrieb gebunden. Grundsätzlich würde der Verkauf von Aktien zwar ermöglichen, einen Teil des Vermögens liquide und für allfällige andere Investitionen zur Verfügung zu halten. Für viele potentielle Investoren ist das aber darum nicht attraktiv, weil es für solche Aktien im Allgemeinen keinen Handel gibt und eine Minderheitsposition im Aktionariat mit mangelnden oder schwer durchsetzbaren Rechten einhergeht (oft auch bei Vorliegen eines Aktionärsbindungsvertrags). So sind Lösungen für Kapitalbeteiligungen an KMU, sei es um am bestehenden Geschäft zu partizipieren oder sei es um neue Projekte des Unternehmens zu finanzieren, oft für beide Seiten, also die Unternehmer wie auch die Investoren, unattraktiv.
Abhilfe schaffen könnte auch hier das Konzept der Tokenisierung. Stellen wir uns vor, ein mittelgrosses Unternehmen möchte in einen anderen Bereich expandieren. Zur Umsetzung der Pläne müssten 10 Millionen Franken investiert werden können, für die das Unternehmen sich aber nicht in die Abhängigkeit von Kreditgebern begeben möchte. Nun könnte dieses Projekt mittels der Ausgabe von Tokens finanziert und damit auch Investoren geöffnet werden, die mit kleineren Beträgen dabei sein möchten. Dies ist ja deshalb möglich, weil durch die Tokenisierung Vermögenswerte in beliebig große Einheiten gestückelt und damit die Mindestinvestitionssummen beliebig festgelegt werden können. Je nach Ausgestaltung des Tokens könnte der Investor später am laufenden Gewinn des Unternehmens oder am einmaligen Verkaufserlös partizipieren, so die Expansion eher den Charakter einer Projektentwicklung gehabt hat. Die Ausgabe der Tokens könnte man sodann entweder in Form eines öffentlichen Angebots oder nur an ausgewählte Personen im Zuge einer Privatplatzierung durchführen.
Genau so könnten Beteiligungen auch im noch weit kleineren Rahmen ablaufen, indem zB eine neue Fertigungsanlage eines produzierenden Klein-Betriebs tokenisiert und durch Verkauf von Tokens an Unternehmensmitarbeiter finanziert wird. Der Mitarbeiter könnte so Teile seiner Anlagegelder – analog zu Mitarbeiterbeteiligungsplänen meist grosser, börsenkotierter Unternehmen – in «seinen» Betrieb investieren und in diesem Sinne stärker an dessen Erfolg partizipieren, als dies für einen reinen Lohnempfänger im Allgemeinen der Fall ist.
Dass in diesem Bereich ein riesiges Potential für Investitionsmöglichkeiten einerseits, Diversifikationschancen für KMU-Unternehmer anderseits besteht, ist an der Tatsache ersichtlich, dass es allein in der Schweiz rund 590'000 KMU mit weniger als 250 Mitarbeitern, aber über 3 Millionen Beschäftigen gibt (Zahlen 2018).