Neues Erbrecht ab 1. Januar 2023: Das muss man beachten
29.03.2022 | von Marc Wehrli, Notar-Patentinhaber
Das Schweizer Erbrecht wurde in den letzten hundert Jahren nur wenig verändert. Bei der seinerzeitigen Entstehung des noch aktuellen Erbrechts wurden Beziehung und Familie traditionell konservativ gelebt und Scheidungen sowie Patchwork-Familien waren die Ausnahme. Das Konkubinat war sogar ein Tabu. Auf solche Beziehungen passt unser Erbrecht nicht mehr optimal, weshalb es modernisiert wurde.
Am 1. Januar 2023 tritt die Revision des Schweizer Erbrechts in Kraft, welche mehr planerische Freiheit gewährt und im Wesentlichen darauf abzielt, die heute gültigen Pflichtteile zu reduzieren. Damit kann in Zukunft freier über das Vermögen verfügt werden.
Mehr Raum
für Ehepaare
Der den Nachkommen zustehende Pflichtteil - neben dem überlebenden Ehegatten bzw. Elternteil - reduziert sich von heute 3/8 auf 2/8 (im Endeffekt somit neu 1/4). Damit kann dem überlebenden Ehegatten künftig mehr zugewendet werden als bisher (neu nämlich 3/4), was zu einer besseren gegenseitigen Absicherung führt.
Sollte ein Ehegatte sowohl den Ehepartner als auch die Nachkommen auf den Pflichtteil setzen, steigt die freie Quote von heute 3/8 gar auf neu 1/2.
Verheiratete Erblasser können somit über einen grösseren Teil des Nachlasses frei verfügen. Für Ehepaare, welche in einer Patchwork-Familie leben, besteht zum Beispiel die Möglichkeit nebst den eigenen Kindern auch die Stiefkinder zu berücksichtigen.
Keinen
Anspruch für Konkubinatspartner
Auch das neue Erbrecht regelt das Konkubinat nicht. Darum haben Konkubinatspartner und ihre Kinder nach wie vor keinen Anspruch auf das Erbe. Spezielle Regelungen sind in diesem Fall somit weiterhin notwendig, liegt doch die Entscheidung, wer begünstigt werden möchte, auch nach der Revision noch immer beim Erblasser und nicht beim Gesetzgeber. Das neue Erbrecht weist jedoch insofern einen Vorteil auf, als dass die Pflichtteile der Nachkommen kleiner werden und jene der Eltern ganz wegfallen. Ein Augenmerk ist allerdings auf die Erbschaftssteuern zu legen.
Mehr Raum für Unternehmer
Die tieferen Pflichtteile erleichtern auch die familieninterne Unternehmensnachfolge. Firmeninhaber können so jene Nachkommen mehr begünstigen, die den Betrieb übernehmen wollen. In einer weiteren Gesetzesrevision plant der Bundesrat im Übrigen weitere Massnahmen, die es einfacher machen sollen, ein Unternehmen zu vererben und vor Zersplitterung zu bewahren.
Bereits
heute für morgen planen
Wissen Sie, dass bereits heute für den Todesfall nach dem 31. Dezember 2022 eine Nachlassplanung auf die künftig geltenden Bestimmungen ausgerichtet werden kann und dadurch über einen grösseren Anteil des Nachlasses frei verfügt werden darf? Mit der Nachlassregelung oder dem Überdenken und der Anpassung eines bereits bestehenden Testamentes sollte nicht zugewartet werden, bis die Reform in Kraft tritt. Denn seinen Nachlass sollte man regeln, bevor es dafür zu spät ist.
Tipps für das Testament
Es sind unbedingt die gesetzlichen Formvorschriften einzuhalten, damit es gültig ist und später nicht angefochten werden kann. Zu beachten sind insbesondere folgende Punkte:
· Das Testament muss von Anfang bis Ende von Hand geschrieben, datiert und eigenhändig unterzeichnet werden. Ist ein Teil mit Computer oder von jemand anderem geschrieben, ist zumindest dieser Teil ungültig.
· «Ehegattentestamente» sind ungültig, d.h. jeder Ehepartner muss ein eigenes Testament aufsetzen, da gemeinsame Testamente in der Schweiz ungültig sind.
· Möchten sich Ehepartner maximal begünstigen, muss das im Testament festgehalten werden, damit der Überlebende mehr erhält, als das was ihm nach Gesetz zusteht. Je nach Zusammensetzung des ehelichen Vermögens ist in diesem Zusammenhang ergänzend dazu ein Ehevertrag oder Erbvertrag anzustreben, damit der überlebende Ehepartner nicht in finanzielle Bedrängnis gerät und ein allenfalls gemeinsames Eigenheim verkaufen muss.
· Zu berücksichtigen sind auch die Reihenfolge des Absterbens der Ehegatten und eine allfällige Wiederverheiratung.
· Da sich die persönlichen und finanziellen Verhältnisse ändern können, empfiehlt es sich, die getroffene Regelung (Testament) alle drei bis fünf Jahre zu überprüfen. Sind die niedergeschriebenen Verfügungen noch immer in Ihrem Sinne und entsprechen sie dem aktuellen Willen?
· Das beste Testament nützt nur etwas, wenn es am Tag X zum Vorschein kommt. Bewahren Sie Ihr Testament somit nicht zwingend zu Hause auf, sondern viel mehr extern an einem sicheren Ort.
Mangels Übergangsregelung Auslegung nach Willensprinzip
Äusserst problematisch am neuen
Erbrecht ist allerdings, dass dieses keine Übergangsregelung vorsieht. Dies
könnte nämlich dann zum Problem werden, wenn Testamente nach dem Willensprinzip
ausgelegt werden müssen. Oft wird nach eingetretenem Todesfall kaum
nachvollziehbar sein, ob der Erblasser z.B. mit der Formulierung «ich
setze meine Nachkommen auf den Pflichtteil» nun das neue (die Hälfte des
gesetzlichen Erbteils) oder das alte Erbrecht (dreiviertel des gesetzlichen
Erbteils) meinte.
Es obliegt nun jedem Einzelnen in seinem Testament für Klarheit zu sorgen, ob dereinst das neue oder alte Erbrecht Anwendung finden soll. Die bevorstehende Revision bietet zudem die Gelegenheit, seine Nachlassplanung zu überdenken.
Es ist somit jeder, der sich in der Vergangenheit einem erbrechtlichen Instrument für seine Nachlassplanung bedient hatte, gut beraten, seinen letzten Willen auf diese Problematik hin zu überprüfen und ihn allenfalls erneut klar und unmissverständlich niederzuschreiben.
Überprüfung und Neufassung durch Notar-Patentinhaber
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